Wundpflege: Wenn der Job eine Leidenschaft ist
Text: Daniel Göring, Fotos: Tino Kistler
Rosemarie Kämpf (Name geändert) hat auf der Behandlungsliege Platz genommen und krempelt das rechte Hosenbein hoch. Zum Vorschein kommt eine hellbraune Bandage, die bis zum Knie hoch reicht. Yvonne Zobrist wickelt die Bandage ab, zieht der Patientin den Kompressionsstrumpf aus und schneidet den Verband auf. Unterhalb des grossen Zehs wird eine grössere Wunde sichtbar. «Das sieht aber viel besser aus als letztes Mal», hält Yvonne Zobrist zufrieden fest.
Während Rosemarie Kämpf zustimmend nickt, sprüht ihr die Wundexpertin einen leicht betäubenden Spray auf den Bereich unterhalb der Zehen. Mit einer scharfen Rundklinge macht sich Yvonne Zobrist daran, den Belag, der sich über der Wunde gebildet hat, abzutragen. «So helfen wir dem neuen Hautgewebe, sich zu entwickeln und auszubreiten.» Alles in der Hoffnung, es gelinge diesem letztendlich, die Wunde zu schliessen und die Patientin von einer lästigen Beeinträchtigung zu befreien. Die 82-Jährige hat schon mehrere Thrombosen in den Beinen erlitten und kämpft immer wieder mit offenen Wunden.
Vielfältige Wundbilder
Patientinnen und Patienten wie Rosemarie Kämpf finden sich regelmässig im Wundzentrum des Spitals Interlaken. «Wir haben oft Personen mit Gefässerkrankungen und Diabetes zu behandeln», erklärt Yvonne Zobrist. Diese in der Bevölkerung verbreiteten Krankheitsbilder verursachten häufig Wunden und behinderten gleichzeitig den Heilungsprozess. Doch auch Menschen mit psychischen Problemen würden eine schlechtere Wundheilung aufweisen, was sich wiederum negativ auf ihre mentale Verfassung auswirke, weiss die Wundexpertin.
Yvonne Zobrist hat Pflegefachfrau gelernt und danach die Ausbildung zur diplomierte Wundexpertin SAfW gemacht - eine von mehreren Weiterbildungsmöglichkeiten bei der Spitäler fmi AG.
Eine zahlenmässig grössere Gruppe bilden Patientinnen und Patienten mit Wunden, die von einer Operation oder einem Unfall herrühren. Und nicht zuletzt kümmern sich Yvonne Zobrist und ihre vier Kolleginnen und Kollegen im Spital Interlaken um die Stoma-Patientinnen und -Patienten. Diese tragen im Bauchbereich einen künstlichen Darm- oder Blasenausgang. «Unsere Hauptaufgabe ist, das passende Versorgungsmaterial zu finden und die Betroffenen im Umgang mit dem Stoma und dessen Pflege zu unterstützen», erläutert Yvonne Zobrist. Pro Arbeitstag behandle und berate sie in der Regel zwischen zehn und zwölf Patientinnen und Patienten mit Wunden oder Stoma, rechnet die Wundexpertin kurz zusammen.
Grosse Verantwortung
Seit 2019 arbeitet Yvonne Zobrist im Wundzentrum des Spitals Interlaken. Zuvor versorgte sie als Pflegefachfrau die Wunden der Patientinnen und Patienten auf der Privatstation. Dann bot sich ihr die Gelegenheit, während eines Tages Einblick in das Wundmanagement zu nehmen. «Und schon hatte es mich», erzählt Yvonne Zobrist mit einem herzhaften Lachen. Sie beschloss, die 18-monatige Weiterbildung zur diplomierten Wundexpertin SAfW zu absolvieren. Ein Entschluss, den sie keine Sekunde lang bereut hat. «Ich kann bei meiner Arbeit vieles selbst entscheiden und trage eine grosse Verantwortung auf dem Weg der Wundheilung, den ich gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten gehe.»
«Ich trage eine grosse Verantwortung auf dem Weg der Wundheilung, den ich gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten gehe.»
Ein Weg, der sich fortlaufend gabelt und von neuem Entscheide über das Wie weiter verlangt. «Eine Wunde ändert sich immer, und sie durchläuft mehrere Heilungsphasen» legt Yvonne Zobrist dar. Je nachdem variiere die Behandlungsmassnahme, seien andere Reinigungsformen, Pflegemittel oder Verbände gefordert. Mit dem Satz «Wir haben einen ganzen Dschungel an Wundverbänden zur Auswahl», illustriert die Expertin die Vielschichtigkeit ihres Tätigkeitsfeldes. Es ist eines, das ihr auch ermöglicht, sich laufend weiterzubilden und neues dazuzulernen, wie sie anfügt.
Abwechslung ist wichtig
Zum Facettenreichtum ihrer Aufgabe gehört für Yvonne Zobrist, dass sie nicht nur im Behandlungszimmer Wunden versorgt, sondern auch auf den verschiedenen Abteilungen des Spitals. Manchmal würden die Wundexpertinnen und -experten die Pflege instruieren und manchmal gleich selbst Hand anlegen, etwa wenn es um eine komplexe Wundbehandlung gehe. «Ich mag es, Abwechslung zu haben», hält Yvonne Zobrist fest.
Yvonne Zobrist gefällt an ihrer Tätigkeit als Wundexpertin besonders die Vielseitigkeit und dass sie sich laufend weiterbilden kann.
Die Aussage ist ihr so wichtig, dass sie diese im Gespräch gleich zweimal macht. Das eine Mal ist sie auf den Inhalt des Berufs bezogen, das andere Mal auf die Art, wie sie den Job ausübt. Seit Yvonne Zobrist vor gut einem Jahr Mutter geworden ist, arbeitet sie in einem 40-Prozent-Pensum. «Aber nicht an fixen Wochentagen», wie sie umgehend hervorhebt. Das Spital und die Grosseltern, die das Kind hüten, würden diese flexible Einsatzform gleichermassen ermöglichen, hält die Wundexpertin fest. Die Dankbarkeit in ihrer Stimme ist unüberhörbar.
Wunde nur noch oberflächlich
Zum Abschluss der Reinigung von Rosemarie Kämpfs Wunde legt Yvonne Zobrist ihr eine feuchte Kompresse auf den Fuss. Nach einigen Minuten entfernt sie das Stück Vliesstoff wieder. «Die Wunde ist nur noch oberflächlich», baut sie die Patientin auf und umwickelt Fuss und Bein mit einem neuen Verband. Mit einem Zettel ausgerüstet, auf dem der nächste Behandlungstermin notiert ist, entlässt die Wundexpertin Rosemarie Kämpf nach Hause. Während sie den Platz für die nächste Behandlung vorbereitet, antwortet Yvonne Zobrist auf die Frage, was denn der Job für sie ausmacht, mit einer Berichtigung: «Die Arbeit ist für mich nicht einfach ein Job. Er ist vielmehr eine Leidenschaft.»
Wundmanagement
Zum Wundmanagement gehören die Diagnose und Behandlung von Wunden aller Art sowie die Schmerztherapie. Vor allem für Menschen mit chronischen Wunden oder verzögerter Heilung ist ein Wundmanagement von grosser Bedeutung und kann ihre Lebensqualität deutlich verbessern. Das Wundmanagement arbeitet mit Spezialistinnen und Spezialisten verschiedener Fachrichtungen zusammen. Ein weiteres Angebot ist die Beratung von Patientinnen und Patienten mit einem Stoma, einer künstlichen Öffnung in der Bauchdecke, um Stuhl oder Urin ableiten zu können. Das Wundzentrum im Spital Interlaken ist zu Bürozeiten in Betrieb. Im Spital Frutigen hat das Wundambulatorium an Montagen und Donnerstagen ebenfalls zu Bürozeiten geöffnet.
Spezialisierungen für Pflegefachleute innerhalb fmi
Pflegefachleute haben für ihre berufliche Weiterentwicklung verschiedene Möglichkeiten. Neben den Nachdiplomstudiengängen Anästhesie-/Intensivpflege und Notfallpflege gibt es mehrere Weiterbildungen. Die nachfolgend aufgeführten eignen sich vor allem für Personen, welche mit einem hohen Arbeitspensum auf einer Bettenstation tätig sind, sich aber vorstellen könnten, später Teilzeit im ambulanten Bereich zu arbeiten. Die Spitäler fmi AG bieten zudem Teilzeit- und gesplittete Anstellungen an, beispielsweise eine 60-%-Tätigkeit auf einer Bettenstation und ein 20-%-Pensum in einem Wundambulatorium.
Diplomierte Wundexpertin/-experte SAfW: Ausbildung mit 20 Tagen Präsenzunterricht, 360 Lernstunden, 200 Stunden angeleitetem Selbststudium und zweimal sechs Stunden Hospitation in der Praxis. Voraussetzungen sind drei Jahre Berufserfahrung nach Abschluss des Diploms und aktuelle Tätigkeit in Spitälern, Kliniken, Heimen, Spitex, Ambulatorien oder freiberuflich.
Fachfrau Dialyse: Grundkurs von 16 Tagen Dauer. Er richtet sich an diplomierte Pflegefachpersonen (AKP, DN II, HF, FH), welche mindestens drei Monate Berufserfahrung auf einer Dialysestation, in einem Dialyse-Ambulatorium oder einer entsprechenden Bettenstation vorweisen können.
Fachexpertin/-experte Diabetesfachberatung HFP:Die Weiterbildung ermöglicht die Vorbereitung auf die höhere Fachprüfung «Fachexpertin/-experte in Diabetesfachberatung mit eidgenössischem Diplom». Sie umfasst 36 TagePräsenzunterricht, E-Learning und klinische praktische Kurse.Der Studiengang richtet sich an Berufspersonen mit einem Bachelorabschluss als Grundausbildung (oder äquivalentem Abschluss) in den Bereichen Gesundheit und Soziales.
Zur Person
Yvonne Zobrist ist Pflegefachfrau und diplomierte Wundexpertin SAfW. Die 30-Jährige ist verheiratet und Mutter einer einjährigen Tochter. In ihrer Freizeit ist Yvonne Zobrist oft «sportlich unterwegs», wie sie es ausdrückt. Sie joggt, fährt Mountainbike, und ist im Winter so oft es geht auf den Skipisten und Langlaufloipen der Region anzutreffen. Auch die Vereine haben es ihr angetan. Yvonne Zobrist ist Mitglied einer Musikgesellschaft, eines Skiclubs und eines Turnvereins.
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