Spitalseelsorge: den Menschen Halt geben
Text: Daniel Göring, Fotos: Sandro Hügli
Philipp Aebi sass gemütlich im Restaurant des Spitals Interlaken und genoss sein Mittagessen, als eine Pflegefachfrau auf ihn zukam. Sie erzählte ihm, dass auf ihrer Station eine Patientin im Koma liege und wohl demnächst sterben werde. Der Sohn sitze seit Stunden bei ihr am Bett und wirke als Angehöriger etwas verloren in der für ihn nur schwerlich fassbaren Situation. Philipp Aebi liess seinen noch halbvollen Teller stehen, ging zu dem Mann und lud ihn auf einen Kaffee ein.
Die beiden Spitalseelsorger Philipp Aebi (links) und Helmut Finkel kümmern sich um Patientinnen und Patienten, deren Angehörige und Mitarbeitende der fmi-Spitäler, wenn diese mit einer belastenden Situation konfrontiert sind.
Im Gespräch erfuhr der Spitalseelsorger, dass der Sohn sich seit Tagen Gedanken machte, wie er würdevoll von der Mutter Abschied nehmen könnte und ob er seine schulpflichtigen Kinder auf einen letzten Besuch zur Grossmama mitnehmen sollte. Aebi hatte einen Blitzgedanken. Er griff in seine Westentasche und holte ein kleines braunes Fläschchen hervor. Darin befand sich mit Myrrhe angereichertes Öl.
Der Seelsorger reichte es dem Mann und schlug ihm vor, in einer Art Ritual der Mutter von dem beruhigenden Öl auf den Arm zu streichen. Die Kinder, so sein weiterer Rat an den Vater, könnten es ihm gleichtun, um gemeinsam von der Grossmutter Abschied zu nehmen. Denn Menschen, die das Bewusstsein verloren haben, sind über Berührungen noch immer zu erreichen.
Ohne Absicht da sein
Die Begebenheit ist exemplarisch für die Tätigkeit von Philipp Aebi und Helmut Finkel. Die beiden teilen sich die Aufgabe als Spitalseelsorger der Spitäler fmi AG. Aebi als reformierter und Finkel als katholischer Theologe. Sie kümmern sich um Patientinnen und Patienten, deren Angehörige, aber auch die Mitarbeitenden der Spitäler, wenn diese mit einer belastenden Situation konfrontiert sind oder gar in den Grundfesten ihrer Existenz erschüttert werden.
«Die institutionelle Verbundenheit der Leute mit der Kirche nimmt ab. Das heisst jedoch nicht, dass sie weniger spirituell sind»: Spitalseelsorger Philipp Aebi.
Es mangelt ihnen nicht an Beispielen, um die Mannigfaltigkeit ihrer Arbeit zu illustrieren. Sie erzählen von einem jungen Mann, der gerade die Diagnose Multiple Sklerose erhalten hat, einer älteren Frau, die sich vor einer Rückenoperation ängstigt und von einem Ehepaar, das tragischerweise sein Kind bei der Geburt verloren hat. Je nach Bedürfnis führen die Seelsorger mit den Menschen ein fürsorgendes Gespräch, beten mit ihnen, tragen deren Gefühle mit oder zeigen einfach ihre Verbundenheit, indem sie anwesend sind. «Die Seelsorge zeigt sich in der Präsenz. Wir haben meistens keine Absicht, wenn wir zu den Menschen gehen, ausser dass wir für sie da sein und ihnen Halt geben wollen», umschreibt Philipp Aebi sein Berufsverständnis.
Sich nicht aufdrängen
Die beiden Seelsorger arbeiten mit allen Bereichen im Spital zusammen. Sie nehmen regelmässig an den Rapporten der Palliativ-Care teil und tauschen sich mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegenden, der Physiotherapie, der Ernährungsberatung oder dem Sozialdienst aus. Wo immer ein offenes Ohr, ein ermutigendes Wort, eine tröstende Geste gefragt ist, gehen Philipp Aebi und Helmut Finkel hin. Manchmal äussern Patientinnen und Patienten den Wunsch, einen Seelsorger zu sehen, manchmal rufen Mitarbeitende nach einem von ihnen, wenn sie sehen, dass die behandelte Person in einem Strudel von Sorgen, Not oder Leid steckt. Nicht selten möchten Patientinnen und Patienten auch ihre Dankbarkeit mit einem Seelsorger teilen, etwa über eine erfolgreich überstandene Operation.
«Wir bieten Unterstützung an, aber es muss niemand mit uns reden.»
Meistens zeigten sich die Menschen offen für ein Gespräch, wenn er erscheine, berichtet Philipp Aebi. Doch nicht immer wolle die Patientin oder der Patient Besuch von einem Seelsorger. Die beiden haben damit kein Problem: «Wir bieten unsere Unterstützung an, aber es muss niemand mit uns reden», betont Helmut Finkel. «Wir drängen uns nicht auf und müssen auch mal spüren, wenn eine Person uns nicht will, selbst wenn sie es nicht direkt sagt», ergänzt sein Kollege.
Offen für alle Religionen
Die Spitäler im Kanton Bern sind von Amtes wegen verpflichtet, eine Seelsorge anzubieten. Die Spitalversorgungsgesetzgebung schreibt ihnen vor, die Dienstleistung für alle Patientinnen und Patienten sowie die Angehörigen sicherzustellen – und dies unabhängig von deren Religionszugehörigkeit und weltanschaulichen Orientierung. Die beiden Seelsorger der Spitäler fmi AG wenden diesen Grundsatz in ihrem Alltag konsequent an.
«Wir sind offen für alle Konfessionen und Religionen», unterstreicht Helmut Finkel. Einzig, wenn eine Person mit katholischem Glauben die Kommunion zu empfangen wünsche, sei es angezeigt, dass er als Seelsorger der gleichen Konfession die Aufgabe übernehme, fügt er hinzu. Bei Bedarf vermitteln sie auch Kontakte zu Seelsorgern anderer Glaubensrichtungen, wie Philipp Aebi ergänzt.
«Wir sind offen für alle Konfessionen und Religionen»: Spitalseelsorger Helmut Finkel.
Arbeiten nicht nach Taxpunkten
Was macht für die beiden ihre Funktion als Spitalseelsorger aus, was schätzen sie an der Tätigkeit? «Die Vielfalt», gibt Helmut Finkel zur Antwort. «Wenn ich am Morgen zur Arbeit kommen, weiss ich nie, was mich erwartet, und ich kann mich den Tag hindurch immer wieder auf neue Situationen einlassen.» Der Umgang mit den Menschen ist dem Duo gleichermassen wichtig. «Ich finde es spannend, ihre Geschichten zu hören und die Hochs und Tiefs mitzuerleben», meint Helmut Finkel.
Philipp Aebi hebt hervor, dass sie als Seelsorger nicht unter Zeitdruck stünden. Es spiele keine Rolle, ob ein Gespräch drei Minuten oder eine Stunde daure, «denn wir arbeiten nicht nach Taxpunkten.» An dieser Stelle sei angemerkt, dass die Dienste der Spitalseelsorger für Patientinnen und Patienten ebenso wie für die Angehörigen kostenlos sind.
«Die Menschen haben Sehnsucht nach einer höheren Kraft, die sie lenkt.»
Spiritualität lebt
Die Religion hat im Alltag vieler Menschen an Bedeutung verloren, immer weniger bekennen sich zu einem Glauben. Droht damit der Spitalseelsorge nicht die Arbeit auszugehen? Philipp Aebis Antwort offenbart eine erweiterte Betrachtungsweise: «Die institutionelle Verbundenheit der Leute mit der Kirche nimmt ab. Das heisst jedoch nicht, dass sie weniger spirituell sind.» Viele Menschen würden Spiritualität als Verbundenheit mit dem verstehen, was ihr Leben trage und inspiriere.
Auch Helmut Finkel hat festgestellt, dass der Glaube an sich bei vielen Menschen unverändert vorhanden ist: «Sie haben noch immer eine Sehnsucht nach einer höheren Kraft, die sie lenkt und durchs Leben begleitet.» In diesem Kontext zeigen sich die zwei Spitalseelsorger überzeugt, dass ihr Angebot für Gespräche und Begleitungen weiterhin Widerhall finden wird.
Spitalseelsorge
Philipp Aebi und Helmut Finkelnehmen die Aufgabe als Spitalseelsorger für die Spitäler Frutigen und Interlaken sowie die Rehaklinik Eden in Oberried wahr. Der reformierte Theologe Aebi versieht ein 70-Prozent-Pensum, sein katholischer Kollege Finkel arbeitet zu 20 Prozent für die Spitäler fmi AG und ist daneben in der katholischen Kirchgemeinde Interlaken tätig. Die beiden sind auch Teil der Ethikkommission der Spitäler fmi AG und bringen sich zu entsprechenden Fragen ein.
Zur Person
Philipp Aebi ist 55-jährig, verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Kindern. In der Freizeit spielt er gerne Unihockey, unternimmt Touren mit seinem Elektrobike und kümmert sich um die drei Zwergziegen zu Hause.
Zur Person
Helmut Finkel ist ebenfalls 55 Jahre alt und lebt mit seiner Partnerin zusammen. Ausserhalb der Arbeit ist er regelmässig mit dem Motorrad unterwegs, pflegt den Garten und geniesst es, die Natur zu erleben.
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