Wo psychisch belastete Eltern durchschnaufen können
Text: Daniel Göring, Fotos: Sandro Hügli
Die Türe geht auf und Laura betritt an der Hand ihrer Mutter Eliane Schuler (beide Namen geändert) den Raum. Die Zweijährige lässt sich von der Mutter geduldig die Schuhe ausziehen, dann setzt sie sich auf den grau-weiss gestreiften Spielteppich. Stolz erzählt das Mädchen, dass es bereits dreimal in der Spielgruppe gewesen sei – und dies ohne seine Mutter! Die Sozialpädagogin Christina Mäder gibt sich beeindruckt.
Dann holt Laura am anderen Ende des Teppichs eine Spielzeugkasse und versucht die verschiedenfarbigen kastaniengrossen Plastikmünzen in die richtigen Schlitze des Apparats zu stecken. Eliane Schuler erzählt derweil Christina Mäder, dass sie – sobald Laura regelmässig in die Spielgruppe gehe – vorhat, wieder arbeiten zu gehen. Es wäre ein weiterer Schritt zurück auf dem Weg in ein normales Leben, von dem sie wegen einer psychischen Belastung abgekommen ist.
Das neue Angebot des sozialpsychiatrischen Zentrums «Lichtblick» richtet sich an psychisch überlastete Eltern, die hier zusammen mit ihren Kindern eine «Verschnaufpause» einlegen können.
Eine «Herzensangelegenheit»
Was Eliane Schuler und ihre Tochter nutzen, ist ein neues Angebot des sozialpsychiatrischen Zentrums «Lichtblick», eine Einrichtung der Spitäler fmi AG. Jeden zweiten Freitagnachmittag können Eltern, die psychisch überlastet sind, ihre Kinder mitbringen, mit ihnen in einem geschützten Rahmen spielen und gleichzeitig mit einer Fachperson persönliche Themen besprechen oder spezifische Fragestellungen erörtern.
«Es ist schwierig für Eltern, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, auch noch für ihre Kinder da zu sein.»
Für Rebekka Huber, leitende Sozialpädagogin im «Lichtblick», ist das Eltern-Kind-Angebot eine «Herzensangelegenheit». Sie weiss aus ihrer jahrelangen Erfahrung, vor welchen Problemen Mütter und Väter mit einer psychischen Belastung stehen. «Es ist schwierig für Eltern, die mit psychischen Problemen zu kämpfen haben, auch noch für ihre Kinder da zu sein.» Zudem sei es für Mütter und Väter nicht selten aufwändig, eine Betreuung für ein Kind zu finden, wenn sie zur Therapie müssten oder es ihnen guttäte, einen halben oder auch ganzen Tag in einer Einrichtung wie dem «Lichtblick» verbringen zu können.
Eine «Herzensangelegenheit»: Rebekka Huber, leitende Sozialpädagogin im «Café Lichtblick», während eines Gesprächs im Rahmen des neuen Eltern-Kind-Angebots.
Eltern sein als Herausforderung
Die Sozialpädagogin greift auch ein Thema auf, das in unserer Gesellschaft noch immer im Schatten der Wahrnehmung steht: Eltern zu sein ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die je nach den Lebensumständen, in denen jemand steckt, sich zu einer Überforderung auswachsen kann. «Die heile Welt, die uns in den Medien und vor allem in der Werbung vorgespielt wird, entspricht meistens nicht der Realität», hält Rebekka Huber fest. Als dreifache Mutter weiss sie nur zu gut, wovon sie spricht.
Mit dem freitagnachmittäglichen Angebot will das Leitungsteam des «Lichtblick» belasteten Müttern und Vätern eine Verschnaufpause gönnen. Sie sollen bewusst gemeinsam mit den Kindern spielen, zeichnen oder etwas gestalten können. Die Begleitung durch eine Fachperson bietet ihnen die Möglichkeit, über ihre Situation zu reden oder auch erzieherische Herausforderungen zu besprechen. «Der Austausch ist uns ein grosses Anliegen», erklärt Rebekka Huber, denn aus Studien und der Alltagserfahrung ist hinlänglich bekannt, dass Reden bei psychischen Problemen die Menschen entlastet.
«Es tut gut, hier zu sein»
Wie kommt das Eltern-Kind-Angebot bei Eliane Schuler an? «Es ist eine grosse Erleichterung für mich. Ich muss kein ‹Hüeti› suchen, damit ich herkommen kann.» Als müsste sie Rebekka Hubers Aussage, die sie persönlich nicht gehört hat, bestätigen, fügt die junge Frau an: «Es tut einfach gut, wenn ich mir mal wieder meine Sorgen von der Seele reden kann und eine Person habe, die nicht nur zuhört, sondern auch den einen oder anderen Tipp parat hat.»
Noch grössere Freude hätte Eliane Schuler, wenn mehr Eltern an den gemeinsamen Freitagnachmittagen teilnehmen würden. Dann könnte Laura auch mit den anderen Kindern spielen – so wie sie es bereits in der Spielgruppe kennen gelernt hat.
Psychisch belastete Mütter oder Väter, die mit ihren Kindern gerne an jedem zweiten Freitagnachmittag in den «Lichtblick» gehen würden, können sich unter lichtblickextra@spitalfmi.ch anmelden. Eine laufende psychiatrische oder psychotherapeutische Behandlung ist nicht Voraussetzung für eine Teilnahme.
Ein Lichtblick in düsteren Phasen
Das sozialpsychiatrische Zentrum «Lichtblick» richtet sich an Menschen, die in einer psychisch belastenden Situation sind. In derartigen Krisenzeiten ist die eigene innere «Wetterlage» oftmals düster und dringend notwendige Lichtblicke sind schwierig zu finden. Deshalb heisst das Zentrum «Lichtblick». Es soll ein Treffpunkt für den Austausch und gemeinsame Aktivitäten sein.
Das Angebot umfasst eine Vielfalt von Therapien und Tätigkeiten, welche die Besucherinnen und Besucher im Alltag unterstützen und stärken sollen. Die Palette reicht von Einkaufen und Kochen über sportliche Aktivitäten und Spiele bis hin zu kreativen Tätigkeiten wie Malen, Töpfern, Musizieren. Gesprächsgruppen und Beratungen runden das Angebot ab.
Der «Lichtblick» ist montags bis freitags von 8.30 bis 16.30 Uhr geöffnet. Er befindet sich in der Nähe des Bahnhofs Interlaken Ost. Eine Teilnahme ist während maximal drei halben Tagen pro Woche möglich. Die Anmeldung erfolgt über die betreuende psychiatrische oder psychotherapeutische Fachperson.
Zur Person
Rebekka Huber ist Leitende Sozialpädagogin im sozialpsychiatrischen Zentrum «Lichtblick». Sie ist verheiratet und hat drei Kinder im Vorschulalter. In ihrer Freizeit schwimmt sie gerne und liest Bücher, bevorzugt Psychothriller. Ihr Lieblingsautor ist Lars Keppler. Hinter dem Pseudonym verbirgt sich das schwedische Autorenduo Alexandra und Alexander Ahndoril.
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