«Dank dem Pflegepool kann ich überhaupt arbeiten»
Text: Daniel Göring, Fotos: Sandro Hügli
Es ist kurz nach 14 Uhr an einem sonnigen Frühlingstag. Patricia Prantl sitzt vor einem Grapefruitwasser am Fenster der Cafeteria im Spital Interlaken. In weniger als einer Dreiviertelstunde wird die Pflegefachfrau ihren Dienst auf der Inneren Medizin antreten. Sie wirkt gelöst und strahlt eine Ruhe aus, als käme sie direkt aus den Ferien. In Tat und Wahrheit befand sie sich vor etwas mehr als 30 Minuten noch zu Hause, schickte ihren ältesten Sohn Tino in die Schule und übergab die beiden jüngeren Kinder Enea und Nia ihrem Mann Oliver. Sein Arbeitstag als Fahrdienstleiter bei der BLS war kurz nach dem Mittag zu Ende gegangen.
An der frischen Luft zur Arbeit: Patricia Prantl auf dem Weg zum Spital Interlaken. Die Pflegefachfrau ist im Pflegepool tätig, einem speziellen Arbeitsmodell der fmi AG für Teilzeitmitarbeitende. Damit kann die dreifache Mutter Beruf und Privatleben kombinieren.
Einsätze frei wählbar
Patricia Prantl arbeitet als Pflegefachfrau im Stundenlohn für die Spitäler fmi AG. Sie gehört zum rund 45-köpfigen Pflegepool. Dieses Arbeitsmodell ermöglicht den Pflegenden, ihre Einsätze frei zu wählen und Beruf und Privatleben in Einklang zu bringen. Im Schnitt kommt Patricia Prantl pro Monat auf rund sieben Arbeitstage. Für den April hat sie zwölf Dienste angeboten, das Spital hat deren acht angenommen.
Die Pflegefachfrau wird an zwei Wochentagen, zwei Samstagen und an allen Sonntagen mit Ausnahme von Ostern arbeiten. Einstweilig. Denn kurzfristig können weitere Einsätze hinzukommen. Etwa wenn auf einer Station eine Kollegin krank geworden ist oder ein Kollege einen Unfall erlitten hat. Dann rufen die Disponentinnen die Pflegenden des Pools schon mal am Vorabend an und fragen, ob sie am nächsten Tag einspringen und einen Dienst übernehmen können.
«Ich liebe meinen Beruf»
Patricia Prantl ist froh über den Pflegepool. «Das Modell ist für mich die einzige Möglichkeit, um überhaupt arbeiten zu können.» Es wäre ein Ding der Unmöglichkeit, ihre wechselnden Schichten mit den ebenso unregelmässigen Arbeitszeiten von Ehmann Oliver sowie der Betreuung der drei Kinder in Übereinstimmung zu bringen.
Dienstbeginn auf der Inneren Medizin: Patricia Prantl verschafft sich digital einen Überblick, welche Patientinnen und Patienten sie betreut und welche Arbeiten anstehen.
Nichts wissen will die erfahrene Pflegefachfrau davon, ihren Job der Kinder wegen vorübergehend an den Nagel zu hängen. «Ich liebe meinen Beruf und will ihn auch längerfristig ausüben. Wenn ich nicht mehr arbeite, bis die Kinder selbständiger sind, verliere ich den Anschluss.» Dann bringt Patricia Prantl noch zwei weitere Argumente auf, warum sie als Mutter berufstätig bleiben will: «Ich kann einen Beitrag an die Bemühungen gegen den Pflegenotstand und an unser Haushaltbudget leisten.»
«Wenn ich nicht arbeite, bis die Kinder selbständiger sind, verliere ich den Anschluss.»
Übergabe der Kinder vor dem Spital
Zwei unregelmässige Jobs um das Familienleben herum zu planen, hört sich nach einer Aufgabe an, die einem nicht so leicht von der Hand geht. Anfänglich habe es sie und ihren Mann tatsächlich einige Zeit gekostet, räumt Patricia Prantl ein. Mittlerweile jedoch hätten sie ziemlich Übung darin. «Heute brauchen wir für die Monatsplanung noch zehn Minuten und eine halbe Packung Pommes Chips», meint sie schmunzelnd.
Doch auch eine ausgeklügelte Planung schützt nicht immer vor Überraschungen. Patricia Prantl erinnert sich an den Fall, als ihr Mann wegen einer betrieblichen Panne später Feierabend machen konnte. Um Zeit zu gewinnen, stieg sie kurzerhand aufs Velo und fuhr mit den Kindern im Anhänger von ihrem Wohnort in Matten zum Spital Interlaken. Kurz vor ihrem Dienstbeginn traf Oliver ebenfalls mit dem Fahrrad ein und konnte die Sprösslinge übernehmen. Vermutlich so gelassen, wie sie die Begebenheit erzählt, trat Patricia Prantl an jenem Tag ihre Schicht als Pflegefachfrau an.
«Arbeitsmodelle für jede Lebenslage»
Vor über zehn Jahren haben die Spitäler fmi AG einen Pflegepool eingerichtet. Er ermöglicht es Pflegenden mit tieferen Arbeitspensen, ihre Einsätze flexibel zu wählen sowie Job und Privatleben besser unter einen Hut zu bringen. Der Pool umfasst rund 45 Pflegefachleute mit Pensen zwischen 10 und 50 Prozent. Die meisten von ihnen sind im Stundenlohn angestellt und können frei entscheiden, ob sie Anfragen für Einsätze annehmen wollen.
Für Flavia Lüthi-Ferrari, Pflegedirektorin der Spitäler fmi AG, hat sich der Pflegepool als Erfolgsmodell erwiesen: «Wir können den Pflegenden Arbeitsmodelle für jede Lebenslage anbieten.» Mütter oder Väter mit kleinen Kindern könnten ebenso im Arbeitsprozess verbleiben wie beispielsweise Sportlerinnen und Sportler mit hohem Zeitbedarf für Training und Wettkämpfe. Aus Sicht des Spitals ist der Pool ein «ideales Reservoir für spätere Festanstellungen», wie Flavia Lüthi-Ferrari betont. Etwa dann, wenn die Kinder selbständiger geworden sind oder die sportliche Karriere zu Ende gegangen ist – und im Leben der Pflegenden wieder mehr Raum für den Beruf entsteht.
Mitarbeitenden im Pflegepool stehen drei Arbeitsmodelle zur Auswahl:
- Pool im Stundenlohn: Mitarbeitende geben ihre Arbeitsangebote ein und werden mit Vorlauf oder bei Bedarf auch kurzfristig für Einsätze angefragt.
- Fixes Pensum mit flexibler Arbeitszeit: Mitarbeitende, die saisonal grosse Schwankungen ihres Pensums aufweisen (etwa eine Skilehrerin), stehen im Jahresverlauf mal mehr und mal weniger im Einsatz. Sie werden auf Stationen eingesetzt, wo Stellen offen, Mitarbeitende krank oder Kolleginnen im Urlaub sind.
- Springer mit fixem Pensum: Pflegende, die als Springer angestellt sind, kommen an fixen Tagen und Abenden zum Einsatz. Die Springer stehen auf allen Stationen im Einsatz und helfen, Arbeitsspitzen auszugleichen oder das Notfallzentrum bei hohem Patientenaufkommen zu entlasten.
Ausserhalb des Pools können Teilzeitmitarbeitende auf folgende Arbeitsmodelle zurückgreifen:
- Reguläre Teilzeitarbeit: Pflegefachpersonen arbeiten fix in einem Team und zu mindestens 40 Prozent.
Teilzeitarbeit mit Gruppenplanung: Teilzeitmitarbeitende können innerhalb eines Teams eine Gruppe bilden und die Planung selbst übernehmen. Drei bis vier Pflegefachpersonen teilen sich zum Beispiel ein Vollpensum, eine von ihnen koordiniert und plant die Einsätze.
Zur Person
Patricia Prantl arbeitet seit Herbst 2020 als diplomierte Pflegefachfrau im Spital Interlaken. In ihrer Freizeit ist sie Ehrendame und Vorstandsmitglied der Musikgesellschaft Wilderswil. Zudem joggt sie regelmässig. Am letztjährigen Brienzerseelauf hat sie erstmals die 10 Kilometer lange Strecke absolviert. Sie schliesst nicht aus, Mitte Oktober wieder unter den Startenden zu sein.
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