Wenn ein Blick das Wort ersetzt
Text: Daniel Göring, Fotos: Sandro Hügli
Chantal Mattmüller stösst ein hellgraues Gestell auf Rollen durch die metallene Türe in den Operationssaal. Auf dem Möbel, das ihr bis übers Kinn reicht, stehen ein Monitor, eine Wasserpumpe, eine Kamera und ein Kaltlichtgerät. Die Fachfrau Operationstechnik schliesst die Apparate an die Stromversorgung an, schaltet sie ein und prüft, ob sie wie gewünscht funktionieren. Danach holt sie einen flachen, ebenfalls fahrbaren Tisch herein. Auf der «Geiss», wie er in der Fachsprache heisst, befinden sich die für die Operation erforderlichen Instrumente. Skalpell, Schere, scharfer Haken, Pinzette – alle fein säuberlich und mit Abstand positioniert, damit sie einfach zu greifen sind.
Zum Schluss öffnet Chantal Mattmüller eine Verpackung und legt die darin enthaltenen Abdecktücher bereit. Dann greift sie zum Telefon und meldet der Orthopädin, dass für den anstehenden Eingriff am Knie eines Patienten alles parat ist. Während der rund 30-minütigen Operation wird Chantal Mattmüller der Ärztin laufend die Instrumente reichen, die elektronischen Geräte kontrollieren und ein Auge darauf haben, dass alle Arbeitsabläufe unter strikter Einhaltung der Sterilitätsvorschriften vonstattengehen.
Am liebsten in der Traumatologie
Seit 15 Monaten arbeitet Chantal Mattmüller im fmi-Spital Interlaken. Sie ist eine von rund 20 Fachpersonen Operationstechnik. Ihr gefällt, dass sie an Eingriffen verschiedenster Fachbereiche mitwirken kann. Auf eine Operation an einer Bauchspeicheldrüse folgt die Behandlung eines doppelten Beinbruchs, eine Gebärmutterspiegelung oder die Abtragung an einer vergrösserten Prostata. Die junge Fachfrau, die im Herbst 2021 ihre Ausbildung abgeschlossen hat, bezeichnet die grosse Bandbreite an Einsatzgebieten als «Wunschvorstellung für eine frisch diplomierte Operationstechnikerin».
«Ich finde es spannend, nicht immer
im Voraus zu wissen, welchen Eingriff wir durchführen.»
Durch die Vielseitigkeit ihrer Tätigkeit und die ständige Weiterentwicklung der verschiedenen Fachgebiete könne sie laufend dazulernen, betont die 22-Jährige. Und in welcher der medizinischen Disziplinen arbeitet sie am liebsten? Die Operationstechnikerin braucht nicht mehr als einen Wimpernschlag für die Antwort: «Die Traumatologie gefällt mir am besten. Ich finde es spannend, vor der Untersuchung eines Unfallopfers oft noch nicht zu wissen, welchen Eingriff wir durchführen werden.»
Wichtiges Glied in der Kette
Obwohl sie im Operationssaal einer Ärztin oder einem Arzt zudient, fühlt sich Chantal Mattmüller nicht als «Handlangerin». Das Gegenteil sei der Fall, betont sie freundlich, aber bestimmt: Eine Fachperson Operationstechnik bilde ein wichtiges Glied in der Kette im Operationssaal. Sie habe durch die richtigen Handgriffe wesentlichen Anteil am reibungslosen Ablauf einer Operation und trage die Verantwortung, dass alle benutzten Instrumente und Materialien jederzeit keimfrei seien, gibt Chantal Mattmüller zu bedenken. Dies kann bedeuten, dass eine Fachperson Operationstechnik auch mal einen Arzt auffordern muss, seine Handschuhe zu wechseln, nachdem er mit ihnen versehentlich den Abfalleimer touchiert hat.
Chantal Mattmüller spürt denn auch, dass ihre Arbeit im Operationsaal Anerkennung findet. «Ich werde nach meiner Meinung gefragt und ich kann mitbestimmen, wie wir gewisse Abläufe gestalten.» Bisweilen braucht es jedoch im Zusammenspiel zwischen Ärzteschaft und Fachpersonen Operationstechnik gar keine Worte. «Bei manchen Ärztinnen oder Ärzten erkenne ich an einer Handbewegung oder beim Blickkontakt, was sie benötigen», erzählt sie.
Um mit dem nächsten Satz einzugestehen, dass ihr die Interpretation dieser nonverbalen Kommunikation zu Beginn nicht leichtgefallen ist. «Manchmal stand ich da und fühlte mich etwas hilflos, weil ich die Geste nicht verstanden hatte.» Doch die junge Fachfrau hat schnell gelernt und ist inzwischen so fest im Job verankert, dass sie vor einigen Wochen die Ausbildung der Lernenden für die Operationstechnik im Spital Interlaken übernehmen konnte. Sie selbst würde es nicht sagen, doch dieser Schritt lässt sich auch so interpretieren: als Zeichen von Anerkennung ihrer Arbeit gegenüber.
Operationstechnik
Fachpersonen Operationstechnik kümmern sich einerseits um die Organisation des Operationssaals. Sie bereiten Geräte, Instrumente und Materialien für den Eingriff vor. Anderseits reichen sie Ärztinnen und Ärzten während der Operation die Instrumente und sind dafür verantwortlich, dass die Sterilitätsvorgaben eingehalten werden. Im Spital Interlaken gehören einem Operationsteam in der Regel zwei Fachpersonen Operationstechnik an. Die Ausbildung zur Fachfrau oder zum Fachmann Operationstechnik HF dauert drei Jahre. Voraussetzung sind ein Lehrabschluss, eine abgeschlossene Fachmittelschule oder ein Maturitätsausweis.
Zur Person
Chantal Mattmüller arbeitet seit Herbst 2021 als Fachfrau Operationstechnik im Spital Interlaken. Sie wohnt in Bern, ist in ihrer Freizeit oft draussen und trifft sich gerne mit Kolleginnen und Kollegen. Einen besonderen Bezug hat sie zu Südkorea. In den letzten beiden Jahren hat sie das Land zweimal besucht, und sie mag koreanische Pop- und Hip-Hop-Musik, so genannten K-Pop und K-Hip-Hop.
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