«Übersetzerin» zwischen zwei Welten
Text: Daniel Göring / Bettina Grässli, Foto: Bettina Grässli
Dass sie eine sehr eloquente Erzählerin ist, war für Cornelia Hartenbach nicht immer ein Vorteil. Mit ihrer positiven Ausstrahlung und ihrer gegen aussen hin angepassten Art verzweifelte sie als junge Frau oft: «Weshalb realisiert niemand, dass es mir eigentlich so schlecht geht?» Seit August 2020 ist Cornelia Hartenbach Genesungsbegleiterin auf der PsychiatrieStation am Spital Interlaken. Und den Weg, der sie bis zu dieser «Berufung» gebracht hat, schildert sie eindrücklich und in ebendieser sprachgewandten Weise, die jede Zuhörerin und jeden Zuhörer fesselt.
Lange unerkannt
Schon seit ihrer Jugend kämpfte Cornelia Hartenbach gegen chronische Kopfschmerzen und Angststörungen. Lange blieben ihre Ängste unentdeckt, nur die massiven Kopfschmerzen wurden symptomatisch bekämpft. Als junge Mutter verstärkten der schwierige Umgang mit ihrem «Schrei-Baby» und die mangelnde Empathie der Aussenwelt ihre Ängste und brachten sie bis an ihre psychischen Grenzen. Trotz der selbständigen Suche nach Hilfe wurde die Tragweite der Krankheit lange nicht erkannt. Nach der Geburt ihrer zweiten Tochter jedoch fiel sie in eine schwere Depression «bis zum Tag X, als ich einfach nur noch am Boden lag und nicht mehr konnte.»
Es folgten ein dreimonatiger stationärer Aufenthalt und eine schwere Zeit für die ganze Familie. Für eine mittelständische Familie waren externe Kinderbetreuung und Entlastungsdienste früher finanziell kaum tragbar und es drohte die Einweisung der Kinder in ein Heim. Ihr beruflich stark eingebundener Partner, mit dem sie heute noch zusammen ist, konnte sich erfolgreich dagegen wehren.
Nach ihrer Rückkehr aus der Psychiatrie gelangen der brüske Einstieg in den Alltag und der schwierige Übergang in die ambulante Behandlung nur, weil sich Cornelia Hartenbach der Wichtigkeit der Therapien und der medikamentösen Behandlung bewusst war, wie sie selbst vermutet. «Ich gab mir auch Zeit, genau anzuschauen, was es braucht, damit es wieder weitergeht.» Sie fing auch an, Dinge zu tun, die ihr guttaten. Beispielsweise Yoga, an dem sie bis heute festhält.
Der Weg zur «Peer»
Jahre später, als es Cornelia Hartenbach wieder besser ging, überredete eine Freundin sie, die anderthalbjährige Ausbildung als sogenannte «Peer» anzugehen. Damals war die Ausbildung noch ein Pilotprojekt. «Das tönt spannend», dachte sie, obwohl sie damals überzeugt war, dass sie selber nie in diesem Beruf würde arbeiten wollen. Erst folgte noch die Ausbildung als Yogalehrerin und der Aufbau des eigenen Yoga-Studios.
Rolle selber definieren
Als «Peer» ist Cornelia Hartenbach in der Klinik Ansprechperson sowohl für medizinische Fachpersonen als auch für Patientinnen und Patienten. Bei Letzteren profitieren «Peers» meist von einem Vertrauensbonus und erzählen auch Dinge, die sie sich sonst aus Angst vor den bekannten Konsequenzen nicht zu erzählen getrauen würden. Sie selber verstehe ihre Rolle daher auch sehr anwaltschaftlich. Jede/r «Peer» müsse aber letztendlich die eigene Rolle selber definieren, ist Cornelia Hartenbach überzeugt. Die grösste Schwierigkeit sei für sie, institutionelle Grenzen zu akzeptieren, obwohl sie genau sehe, dass eine Patientin oder ein Patient etwas ganz anderes brauche als die üblichen Therapiekonzepte.
In den Anfängen sei das Konzept der «Peer-Arbeit» für alle Beteiligten schwierig gewesen, wenn da «in den Rapporten plötzlich jemand anderes sitzt, der sich einbringen will», so Hartenbach. Dass sich zwangsweise die Sprache verändere, wenn «Peers» bei Sitzungen dabei seien, sieht Cornelia als grossen Vorteil. Herausfordernd für viele «Peers» sei, die eigenen Überlegungen als ebenso wertvoll anzusehen, obwohl man akademisch vielleicht weniger geschult sei. Mit der Zeit hätten aber viele fachmedizinisch geschulte Personen realisiert, wie praktisch es sein könne, von den Erfahrungen der «Peers» zu profitieren und sie auch als «Übersetzerin» zu verstehen und einzusetzen.
«Es ist schön, dass wir Teil des Spitals sind.
Es fördert das Verständnis,
dass man nicht nur Knochen,
sondern auch Seelen flicken kann.»
Vom Vorteil, Teil des Spitals zu sein
Die PsychiatrieStation in Interlaken gibt es seit etwas mehr als zwei Jahren und befindet sich noch immer im Aufbau. Cornelia Hartenbach schätzt hier besonders, dass die Fähigkeiten der Angestellten genutzt würden und man offen sei für Neues. In Interlaken würde man sich die Idee hinter den «Peers» und den neuen Ansätzen nicht nur auf die Fahne schreiben, sondern man lebe sie auch wirklich. Besonders gut findet sie, dass die Psychiatrie Teil eines Akutspitals ist, was den psychiatrischen Erkrankungen eine gewisse Berechtigung gebe. Dies fördere das Verständnis, dass es im Grunde keine Rolle spiele, ob man «Knochen oder eine Seele flicken muss.»
«Peers» in der Psychiatrie
«Peers» sind Mitarbeitende, die eigene Gesundungswege gegangen sind und nun ihr Erfahrungswissen nutzen, um anderen von psychischer Krankheit Betroffenen hilfreich zur Seite zu stehen. In der Psychiatrie der fmi AG sind acht «Peers» angestellt, verteilt auf die mobile Krisenbegleitung, die Tagesklinik, das Ambulatorium und auf die PsychiatrieStation.
Zur Person
Cornelia Hartenbach arbeitet seit August 2020 als Genesungsbegleiterin respektive «Peer» bei der Spitäler fmi AG auf der PsychiatrieStation in Interlaken. Die studierte Juristin ist Mutter von zwei Töchtern (17 und 21 Jahre) und lebt in Bern. Auch in ihrem eigenen Yogastudio «Mindyoga» hat sie sich auf Yoga für Menschen mit Depressionen und Ängsten spezialisiert. Vor ihrer Anstellung in Interlaken arbeitete Cornelia Hartenbach bereits fünf Jahre als «Peer» in der Psychiatrischen Klinik St. Urban.
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