«Es braucht das Spital Frutigen – mit einem angepasstem Angebot»
Text: Daniel Göring, Fotos: Tino Kistler
Die vom Verwaltungsrat gefällten Entscheide betreffen vor allem den Standort Frutigen. Reichen diese aus, um die Zukunft des Spitals langfristig zu sichern?
Karin Ritschard Ugi: Das Spital Frutigen ist unabdingbar für die Gesundheitsversorgung der Region, es wird langfristig eine Zukunft haben. In den letzten Monaten haben wir eine umfassende Analyse durchgeführt und sorgfältig geprüft, welche Angebote in Frutigen noch notwendig sind. Dabei war schnell klar, dass es das Spital weiterhin braucht, dessen Angebot jedoch teilweise anders aussehen muss. Die Bedürfnisse der Bevölkerung sind heute nicht mehr die gleichen wie vor zehn Jahren. Dem haben wir mit unseren Entscheiden Rechnung getragen.
Daniela Wiest: Nehmen wir als Beispiel den Notfall. Immer mehr Menschen haben keinen Hausarzt oder keine Hausärztin mehr, weshalb unser Notfall in Frutigen zunehmend zur ersten Anlaufstelle auch bei nicht dringenden medizinischen Themen wird. Im Kandertal mit seiner dünnen Dichte an Hausärzten ist es entscheidend, dass die Bevölkerung noch das Spital hat, wenn eine Patientin oder ein Patient sonst keinen Behandlungstermin mehr bekommt.
Eine der Anpassungen ist die Verlegung der Geburtshilfe nach Interlaken. Gibt es keine Alternativen?
Karin Ritschard Ugi: Die Geburtenzahlen im Spital Frutigen sind seit Jahren rückläufig, allein im letzten Jahr um rund 10 Prozent. Dann haben wir das Problem, dass wir nicht mehr genügend Fachpersonen finden, um die Geburtenabteilung beibehalten zu können. Die Qualität und die Sicherheit einer Behandlung hat für uns oberste Priorität, deshalb sind wir zum Schluss gekommen, dass wir die Geburtenabteilung nicht aufrechterhalten können. Deren Betrieb hat uns ein jährliches Defizit von über 1 Million Franken verursacht. Mit der Geburtshilfe in Interlaken können wir den Patientinnen eine sehr gute Alternative anbieten.
Daniela Wiest: Am Standort Interlaken ist das System mit den Beleghebammen bestens etabliert. Das heisst, die frei praktizierenden Hebammen, die bisher in Frutigen im Einsatz standen, können die Gebärenden künftig im Spital Interlaken betreuen.

Für Dr. Karin Ritschard Ugi, Verwaltungsratspräsidentin ist klar, das Spital Frutigen ist unabdingbar für die Gesundheitsversorgung der Region. Dies hätten umfassende Analysen gezeigt.
Die Verschiebung der Geburtenstation kommt bereits Anfang April. Warum so kurzfristig?
Karin Ritschard Ugi: Wir standen bereits im vergangenen Sommer vor einem akuten Personalmangel in der Geburtshilfe in Frutigen. Dank grosser Anstrengungen ist es gelungen, noch einmal Fachkräfte zu finden, doch wir wussten, dass wir längerfristig um eine andere Lösung nicht herumkommen würden. Da wir uns personell auf einem sehr schmalen Grat bewegen, um den gebärenden Frauen die von ihnen zurecht erwartete hochstehende Betreuung anbieten zu können, ist es für uns wichtig, den getroffenen Entscheid rasch umzusetzen.
Daniela Wiest: Seit letztem Sommer mussten wir Monat für Monat schauen, ob wir die erforderlichen Dienste durch Fachärzte überhaupt noch abdecken können. Zwei der vier Ärzte waren über 70-jährig. Das war eine alles andere als stabile Betriebssituation. Kürzlich ist das System aufgrund eines Ausfalls zusammengefallen, wir können den Betrieb bis zur Verlegung der Geburtenabteilung nach Interlaken nur noch mit zusätzlichen Diensten der bereits stark belasteten Ärzte aufrechterhalten.
Anstelle der Geburtenabteilung wird in Frutigen eine Psychiatriestation entstehen. Besteht im Kandertal tatsächlich Bedarf für ein solches Angebot?
Karin Ritschard Ugi: Unsere Kontakte mit zuweisenden Ärzten, Behördenvertreterinnen und -vertretern, aber auch der Bevölkerung haben klar zum Ausdruck gebracht, dass es Bedarf für eine Psychiatriestation gibt. Die Zahlen sprechen die gleiche Sprache: In den letzten fünf Jahren haben die Patientenkontakte der Psychiatrie in Frutigen um über 20 Prozent zugenommen. Zudem verfügen wir mit unseren Expertinnen und Experten über eine Fachkompetenz, die über die Region hinaus anerkannt ist.
Daniela Wiest: Das Spital Frutigen bietet sich für eine Psychiatriestation an. Es ist ein kleines Haus mit heimeliger Atmosphäre, was für die Betreuung von Menschen, die psychisch belastet sind, ein Pluspunkt darstellt. Dazu gehört auch der wunderschöne Park, der das Spital zu einem guten Genesungsort macht.

Dr. med. Daniela Wiest, CEO und Vorsitzende der Geschäftsleitung erklärt, dass der akute Personalmangel zu einer instabilen Betriebssituation geführt habe, weshalb die Verschiebung der Geburtenstation bereits Anfang April nötig ist.
Welche Einsparungen sind mit den beschlossenen Massnahmen möglich, und ist damit die finanzielle Tragbarkeit des Spitals Frutigen langfristig gesichert?
Daniela Wiest: Die Anpassungen des Angebots werden in einem ersten Schritt nicht zu Einsparungen führen, denn der Transformationsprozess ist mit Kosten verbunden, zum Beispiel für den Aufbau der Psychiatriestation. Längerfristig werden wir den Spitalbetrieb in Frutigen ausgeglichen gestalten können, der 24-Stunden-Betrieb des Notfalls hingegen ist nicht kostendeckend. Ohne eine Finanzierung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen kann ein Notfall nicht betrieben werden.
Karin Ritschard: Nichts zu tun wäre in dieser Situation keine Option. Das damit verbundene finanzielle, aber auch personelle Risiko könnten wir nicht mehr lange tragen. Mit den getroffenen Massnahmen sind wir in der Lage, das Spital am Standort Frutigen langfristig sicherzustellen. Aber gratis ist auch das nicht zu haben – weder für uns als Spital noch für den Kanton.
Wird die Bevölkerung mit weiteren Anpassungen des Angebots rechnen müssen?
Karin Ritschard Ugi: Nach der Analyse in Frutigen werden wir auch den Standort Interlaken einer sorgfältigen Überprüfung unterziehen, um das Spital fit für die Zukunft zu machen.
Daniela Wiest: Mit der Abnahme der Zahl von Hausärzten werden Gesundheitsdienstleistungen in unserer Region künftig nicht mehr in jedem Dorf angeboten werden können, sondern konsolidiert an einem Zentrum wie zum Beispiel im Spital in Frutigen. Gerade deswegen ist der Standort von zentraler Bedeutung für die Grundversorgung der Bevölkerung.